Der OLEANDER - ein Zeitreisender
Im Wimpernschlag der Erdgeschichte fällt ein Oleander Samenkorn in einen Baumharztropfen. Für Millionen von Jahren bleibt es dort verschlossen - und kann so der Nachwelt erhalten bleiben. Der Bernstein ist der Überbringer seiner Existenz von jenem Ort, wo die Oleanderpflanze einst blühte und fruchtete.
So geschehen im Hukawang Tal im Bundesstaat Kachin im Norden Myanmars – ein Burmesischer Bernstein aus der Kreidezeit. (Burmite, Birmit, Burmesischer Bernstein Wikipedia).
"Die Gattung Nerium, deren bekanntester Vertreter N. Oleander L. ist, existierte in Europa schon während der jüngeren Kreideperiode, und zwar war sie damals, wie auch noch während der Tertiärperiode, in Mitteleuropa ebenso wie in Südeuropa anzutreffen. Schon in der jüngsten Tertiärperiode existierte eine unserm jetzigen Oleander verwandte Pflanze in Südfrankreich (Meximieux und Valentine), und Ferdinand Pax hat kürzlich aus den tertiären Schichten von Hermannstadt in Siebenbürgen ein Nerium Bielzii beschrieben (Grundzüge Pflanzenverbr. Karpathen II (1908)23). Auf Grund dieser Tatsache ist es ganz unmöglich, dass der Oleander erst in historischen Zeiten nach Europa gelangt ist; nur ist seine Nordgrenze infolge der Glazialperiode weiter nach Süden verschoben worden." (Victor Hehn, Berlin 1870).
Der WILDOLEANDER mit der rosa Blüte.
Wie der blaue Himmel und das Meer, die heiße Sonne, der Duft der Wildkräuter und das schrille Lied der Zikade, so gehören auch die leuchtenden rosa Blütenwolken der OLEANDER seit 2000 Jahren zur Schönheit der Mittelmeer-Landschaft. Die diesbezüliche Begeisterung kommt aber erst im 20. Jahrhundert in das allgemeine Bewusstsein der Menschen. Damals, nach Ende des zweiten großen Krieges, beginnt der Massen-Tourismus am Mittelmeer. Es lockt der Süden mit seinem Licht und seiner Farbe.
'Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen . . .' Diese Reise in den Süden war vor etwa 150 Jahren nur priviligierten Bürgern möglich. Sie schreiben ihre Eindrücke auf, schwelgen in ihren Erzählungen von der Schönheit der Landschaft, ihrer Flora und Fauna und widmen dabei dem rosa blühenden Oleander viel Aufmerksamkeit. Nur, die Landbevölkerung dieser Regionen, die über Jahrhunderte von ihren Schaf- und Ziegenherden lebt, sie fürchtet die Giftigkeit dieser Pflanze und vernichtet sie, wo immer sie in der Landschaft sichtbar wird. Doch die Pflanze überlebt die Jahrtausende . . .
"Wie so manche andere Pflanze dieser Gegenden schwebte er mitten inne zwischen dem Kultur und wilden Stande, d.h. einmal herüber gebracht wusste er sich selbst zu helfen und nahm den Schein eines freien Naturkindes an. So fand ihn schon Plinius; auf den ersten Blick mochte er das Bäumchen eingeboren in Italien halten, aber als er sich auf den Namen besann, der ein griechischer ist ‚Rhododaphni‘ oder ‚Rhododendron . . .“
"Und dann verbreitet er sich im freien Lande, als Ziege und Esel, die Feinde aller jungen Bäumchen, die nichts aufkommen zu lassen pflegen, es verschonen, und von da an leuchten die hellroten Oleanderrosen wie gewundene rötliche Bandstreifen an beiden Ufern der vom Gebirge herabkommenden Wasserrinnen Südeuropas.“
(Die Zitate sind aus 'Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa“ von Victor Hehn, Erstaufl. 1870.) Siehe auch . .
Neugierig fragen wir uns hier, wann lernen die alten Griechen ihre „Rhododaphni“ (Rosenlorbeer) nun kennen? Wie die Schriften berichten, hat Homer und auch Alexander der Große den Oleander noch nicht gekannt. Aber als Alexander mit seinem Heer die Sandmeere von Belutschistan durchquert, da treffen die Griechen auf eine Pflanze, die ihrer „Daphni“ (Lorbeer) ähnlich ist. Es kommt zur Katastrophe: Die Zugtiere aus dem Tross fressen die Pflanzen und sterben.
Später benennt die Wissenschaft diese Pflanze Nerium odorum, den Oleander, der die Wadis der Wüste mit hellrosa duftenden Blüten schmückt, aber hoch giftig ist! Diese überlieferte Begebenheit beweist nun, dass die Griechen zu dieser Zeit den wilden Oleander aus ihrer Heimat noch nicht kennen.
Nach der Gründung seines Weltreiches, hinterlegt Alexander seine Forschungsberichte im Reichsarchiv zu Babylon. Man gibt davon Originale an die gelehrte Welt, doch leider sind diese wertvollen Stücke verloren. Man findet sie auch in keiner Literatur verwertet. Ausnahme ist Theophrast‘s Pflanzengeografie, die über Jahrhunderte der Grundstein unserer Botanik ist. So nennt man Theophrast auch den ‚Vater der Botanik‘. Der Oleander ist hier mit dem Namen „OENOTHERA“ und als Giftpflanze gekennzeichnet.
„Die Entwicklung der Pflanzengeografie ist eine der grossen wissenschaftlichen Ergebnisse des Alexanderzuges. Da entdeckte Alexander der Grosse zu der alten Westwelt eine neue, die Ostwelt, hinzu und die Pflanzengeografie, für die erfolgreiche Behandlung ihrer Fragen so sehr auf die Anschauung möglichst verschiedener Landschaftsbilder angewiesen, gewann neues Leben. Unschätzbar war es, dass Alexander selbst in edlem Forschersinne dafür sorgte, dass wissenschaftliche Beschreibungen dieser neuen Welt erstanden . .“ Auszug aus dem Buch „Botanische Forschungen des Alexanderzuges“ von Dr. Hugo Bretzl, Leipzig 1903.
Wie später überliefert, steht der Oleander im antiken Griechenland an den Ufern der Flüsse und Meeresküsten. Dort, wo dem Meeresgott Nereus und seinen 50 Töchtern gehuldigt wird, ist die der Rose ähnliche Rhododaphni-Blüte das Opfer auf den Altären der Nymphen und im Blütenkranz.
Pedanius Dioskurides lebt im 1. Jahrhundert und ist ein griechischer Arzt und Pionier der Pharmakologie. Ausgebildet in Tarsos, dem bedeutendsten Zentrum botanisch-pharmakologischer Forschung im Römischen Reich. Im Gift des Oleanders sind toxische Glycoside (Herzglycoside) enthalten. Die „Materia Medica“ von Dioskurides umfasst ca. 1000 Arzneimittel. (Wiener Dioskurides, Wiener Dioskurides in der Österr. Nationalbibliothek).
Das Bild zeigt 'Nerium oleander folio 283r', die Beschriftung zeigt das griechische Wort 'Rhododaphne'.
Um 40 n.Ch. bauen die Römer auf den Ruinen einer karthagischen Stadt ihr westlichstes administratives Zentrum, Mauretanien. Die Bevölkerung besteht aus Berbern, Juden, Griechen und Syrern, die bis zum Aufkommen des Islam latein sprechen und Christen sind. Der Name der antiken Stadt VOLUBILIS bezieht sich auf das Berber-Wort ‚Oualili‘ für Oleander – die OLEANDER-BLUME, die in der Region verbreitet ist. (Oualili, Volubilis - UNESCO World Heritage Site, History of Volubilis).
Faszinierend der Gedanke, dass der Oleander mit der rosa Blüte, in der oft wüstengleichen Landschaft Nordafrikas, über Berge und Täler wandert, und das schon einige tausend Jahre. Tief liegende Wasservorkommen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Als im August 79 n.Ch. der Vulkan 'Vesuv' bei Neapel ausbricht, nimmt eine schreckliche Tragödie ihren Lauf. Die Landschaft rund um Pompeji wird unter einer etwa 7 Meter hohen Ascheschicht begraben und so bis in das 18. Jahrhundert vergessen. Mit den Ausgrabungen wird Pompeji zum zentralen Objekt der Archäologie und Erforschung der antiken Welt. Fresken zeigen den Oleander und man kann beweisen, dass die Gärten
100 Jahre alte Oleanderbäume schmücken.
Die leuchtende Blüte des Oleanders prägt die Landschaft rund um das Mittelmeer, da seine jährliche große Samenmenge vom Wind zum Tanz gefordert wird. Schwerelos, sich auf ihren Schirmchen drehend, fliegen sie oft weite Strecken, um an den Ufern der Wildwasser neu zu wurzeln. Die Grenze dieser Wanderschaft setzt der Frost. Die heranwachsenden Sämlinge sind das Ebenbild ihrer Eltern und tragen mit Stolz die rosa Blüte des wilden Oleanders.
In KRETA stehen einst dichte Wälder, die die Heimat einer reichen Fauna und Flora sind. Die antike Vegetation, die aus Zypressen, Zedern, Pinien, Kiefern und Steineichen besteht, sie liefert das Holz für die Minoische Flotte der Handelsgaleeren und auch für die Segelschiffe der Venezianischen Kriegsflotte. Wie überliefert, gibt es hier auch Oleander, die zu Bäumen empor wachsen und deren rosarote Blütenwollken in den Tälern der 'Weißen Berge' leuchten. Heute ragt der graue nackte Fels in den blauen Himmel und tiefe Schluchten teilen das Bergmassiv, durch die die Mythen der Vergangenheit wehen.
Doch in der Mitte des Jahrtausends – anno 1547 - bereist der Franzose Pierre BELON Kreta und das griechische Festland. Er dokumentiert Fauna und Flora; es sind die ersten Forschungsaufzeichnungen in Griechenland. Er ist Apotheker und auf der Suche nach Heilpflanzen.
Am Berg Ida, in der Nähe des Dorfes Chamarachi, findet Belon einen Oleander mit weißer Blüte. Dieser Fund wird in der Welt der Wissenschaft zur Sensation, da man bis dahin nur eine rosa Blüte am Oleander kennt.
Heute liegen BELON’S Aufzeichnungen in Paris. Hier eine Übersetzung aus dem Originaltext: „Das Nerion mit der weißen Blüte blüht im April am Bergweg nahe dem Dorf Chamarachi in Kreta. Es ist recht schwierig, den westlichen Bergpfad aufzusteigen, denn die Hänge sind steil, fast so gerade wie eine Leiter. Dort gibt es am Bergfuß ein Dorf, von dem man das Steigen anfängt, man zählt 7000 (?) bis an die Spitze. Es scheint, daß der nach Osten liegende Teil milder ist als die anderen, denn überall rund um die Bergwurzeln (?) ist die Erde sehr fett und feucht. Dort gibt es eine hohe Zahl an Dörfern und es werden allerlei Sachen gut kultiviert. Obstbäume, Oliven und Weinstöcke und auf den Feldern pflanzt man alle Arten Gemüse und Getreide.“ Wie überliefert, wird der weiße Oleander von Pietro Antonio Michiel nach Venedig gebracht, wo er gepflanzt und vermehrt wird. Ende des Jahrhunderts blüht er auch in London.
1740 gibt es ein „Grosses vollständiges UNIVERSAL LEXICON Aller Wissenschaften und Künste , Leipzig und Halle, das folgendes berichtet: „Oleander-UNHOLDENKRAUT, weil das Gewächs ein schädliches Kraut, das Menschen und Vieh tödtet, und ihm derowegen weder Menschen noch Vieh hold ist. Rosenbaum, Rosenlorbeer, Lorbeerrose, weil die Blumen in den Farben der Rosen, die Blätter aber dem Lorbeerlaube ähnlich sind . . . er sieht fast aus, als der Lorbeerbaum . .“ Beschrieben ist hier der rosa blühende Nerium oleander, der wild rund um das Mittelmeer vorkommt und medizinisch genutzt wird. Auch eine weiße Blüte wird erwähnt.
1753 schreibt Carl von Linné, der Vater und Pionier der Botanik, eine Systematik, nach der alle Tiere und Pflanzen ihren Platz im „Species Plantarium“ bekommen. Die Ordnung ist auch heute gültig und dient der internationalen Verständigung. Der Oleander wird in die Pflanzenfamilie der APOCYNACEAE eingereiht und der Gattung NERIUM zugeteilt. Es gibt nur eine Art mit dem Namen „OLEANDER“
1774 erscheint „Onomatologia Botanica Completa“, das vollständige botanische Wörterbuch, worin geschrieben steht: „Nerium candidis floribus in montibus idea convalibus“ – weiße Neriumblüten wuchsen in den Ida Bergen – es bedeutet bei BELONIUS eine Spielart des gemeinen Oleanders mit weißer Blüte; ebenso bei C. Bauhin „Nerium floribus albis“.
1818 berichtet Gaetano SAVI aus Italien: "Eine Sorte von weißen Blüten wird angebaut, was auf Kreta spontan auf dem Berg Ida bei Camerachi (Bellonio I., Kap. 16) und 1547 nach Italien gekommen ist. (Mattioli loc. Cit.) Sie behält ihre Farbe auch durch Fortpflanzung aus Samen, und ich habe noch nie gesehen oder gewusst, dass andere sie gesehen haben, dass sie aus dem Samen des gewöhnlichen Mazza von San Giuseppe (=Mittelmeeroleander) aus denjenigen von weißen Blüten geboren sind." Über ein natürliches Vorkommen dieser weißen Oleander-Spielart findet man heute leider keine Aussage, wohl aber wird sie in alten Aufzeichnungen als Gartenpflanze erwähnt.
1817 – etwa 270 Jahre nach BELON – bereist der naturforschende Arzt Franz Wilhelm Sieber die Insel Kreta und bringt der Wissenschaft mit seinen botanischen Beiträgen und Abbildungen einen hohen Gewinn ('Reise nach der Insel Kreta . .'). Er hilft auf seiner Reise als Arzt und beschreibt das Leben der Menschen, die aus der vorangegangenen Herrschaft der Venezianer nun unter der türkischen Allmacht leben müssen. Er benennt auf seiner Wanderung einige Siedlungen, die er auf seinem Weg zur Fundstelle des weißen Oleanders passiert. Sie liegen im Osten Kretas, zwischen Agios Nikolao und Sitia. Diese Dörfer finden wir noch heute! Damit kann der erwähnte Seestrand vielleicht mit dem Fischerdorf Mochlos in Verbindung gebracht werden - ein wenig Fantasie vorausgesetzt.
Sieber schreibt in seinem Buch, dass die Menschen dort diese Pflanze „Galanosphaca“ nennen, den ‚milchweißen‘ Oleander. Wenn dem so ist, dann muss es „Galaktosphaca“ heißen - ein Hör- oder Schreibfehler des Autors wahrscheinlich. Für eine milchweiße Blüte können wir keine Aufzeichnungen finden. Meint man vielleicht den austretenden giftigen Milchsaft beim Schnitt?
1583 wird in dieser Gegend bei einer venezianischen Volkszählung ein Dorf mit 244 Einwohnern erwähnt. Nach dem Oleander – SFAKA - wird die Ortschaft benannt. Heute liegt das 'Oleanderdorf' an der Europastraße 75 - die von Norwegen bis SITIA führt.
So erfahren wir, dass der Oleander im Westen wie im Osten einst ein „Fixstern“ in den mächtigen Wäldern von Kreta war, denn:
1888 erzählt ein griechisches Buch die Geschichte von SFAKIA (SFAKIA, A history of the region . .). Dort, wo die Ausläufer der Weißen Berge steil in das Libysche Meer abfallen, liegt der eine Teil des Ortes und der zweite Teil von Chora Sfakia schmiegt sich in luftiger Höhe an die Felsen. Hier blühen reiche Oleandervorkommen und die Menschen nennen diese Pflanze „Sphaca“. Möglich, dass der Ort SFAKIA so zu seinem Namen kommt. Wanderer berichten, dass sich in der ARADENA Schlucht noch heute hohe Oleander, Geier und Adler sehen lassen.
Die Flora und Faune der Mittelmeerlandschaft rückt in das Interesse der Forscher, besonders der Osten - Griechenland. Der Arzt und Botaniker John Sibthorp aus Oxford startet seine große Forschungsreise gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Die erste umfassende Beschreibung der griechischen Pflanzenwelt entsteht.
1.000 Zeichnungen wandeln sich unter den begnadeten Händen des Wiener Pflanzenmalers
Ferdinand Bauer zu exakt genauen farbigen Blumenbildern. Sie überleben die Jahrhunderte in den
10 Bänden der FLORA GRAECA.
Mit der Seefahrt beginnt eine neue Zeit. Den Oleander führt sie in eine Erfolgsgeschichte, die aufregender kaum sein kann . . .
Ein neuer Oleander kommt aus den Weiten Asiens
Die Vielfalt der Oleanderblüten entsteht
Europa setzt die Segel und die Suche nach neuen Welten beginnt. Neue Pflanzen sind für die Medizin besonders wichtig, da das meiste einheimische Pflanzenmaterial erforscht ist. So sind die ersten Forschungsreisenden Apotheker und Ärzte, die sich an der Jagd nach dem ‚Grünen Gold‘ beteiligen und sie wird einige hundert Jahre andauern. Die ‚Pflanzenjäger‘ bringen eine unermessliche Fülle an neuen botanischen Schätzen nach Europa. So geht die Botanik in ihren Ursprüngen auf das medizinisch/heilkundliche Studium zurück.
Oleanderpflanzen aus Indien erreichen Europa. Die erste Erwähnung von ‚Nerium indicum‘ und ‚Nerium latifolium‘ geschieht 1680 bei ihrem Eintreffen in Amsterdam. Die Pflanzen kamen aus Ceylon. Hier auch die entsprechende Abbildung, gezeichnet von Jan und Maria Moninckx.
HORTUS MALABARICUS „Garden of Malabar“ beinhaltet die früheste Niederschrift der Flora Asiens und der Tropen. Geschrieben von Hendrik Adriaan van Rheede tot Draakenstein, dem Gouverneur von Malabar in einer Zeitspanne von 30 Jahren (1678-1693). Vorzugsweise geben die Bücher (12 an der Zahl) Auskunft über die Flora der Westküste Indiens von Goa bis Kanyakumari und detailliert die Flora von Kerala.
Jan Commelin (1629-1696) verlegt dieses Werk. Er ist selbstständiger Kaufmann und leitet den Großhandel von Medizinalpflanzen in Amsterdam und bald auch einen Medizinalpflanzen-Garten, aus dem der „Hortus Botanicus Amsterdam“ hervorgeht, einer der ältesten Botanischen Gärten überhaupt. Man steht am Beginn eines gewaltigen Pflanzenimportes nach Europa. Die Niederländische Ostindien Companie kann alleine aus ihren Überseegebieten viele unbekannte Pflanzen und Keime für die Ansiedelung beschaffen. Unter dem Titel „Catalogus plantarum indigenarum Hollandiae“ veroeffentlicht Commelin 1683 die erste Flora der Niederlande.
Allgemein macht das rund um die Welt gesammelte Pflanzenmaterial die Gründung von Auffangstationen notwendig. Hier wird registriert, geforscht und weiter verteilt. So entstehen in der Folge die ersten Botanischen Universitäten und ihre Gärten.
Die Oleander Sorten, die im Laufe der Jahrhunderte aus den verschiedenen Gebieten Asiens nach Europa kommen, sie bringen ‚das indische Blut‘, welches die Blütenform und –farbe, sowie die Gestalt der SAMENPFLANZEN verändern kann. Außerdem ist ein Blumenduft neu, den die Blüte des Mittelmeer Oleanders nicht kennt. Die Wissenschaft sammelt und beschreibt die neuen Oleander-Sorten über einen langen Zeitraum. Die heutige Technik kann botanische Aufzeichnungen und Pflanzenlisten finden und läßt uns so in der Vergangenheit blättern (Onomatologia Botanica Completa). Ein faszinierender Umstand, wenn man bedenkt, wieviele Kriege und Unruhen zu dieser Zeit Europa erschüttern.
Die damalige Blumenmalerei zeigt so manche Oleander-Blütenschönheit (plantillustrations.org).
1819 gibt das Kaiserhaus Habsburg Oleander-Blumenteller in Auftrag, die später als Dessertteller auf die kaiserliche Tafel kommen, wenn mit Grand Vermeil, der Silberkollektion, gedeckt ist. Einen besonderen Beweis der Beliebtheit von Oleandern finden wir im Gemälde der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn (Franz Xaver Winterhalter 1865 mit Diamantsternen) mit Oleanderblüten im Hintergrund. Diese hohe Auszeichnung kann man als die Spitze der Oleander-Mode des 19. Jahrhunderts werten.
1829 erscheint das Werk 'Vollständiges Handbuch der Blumengärtnerei' von J. F. W. Bosse. Die aufgezählten Oleander Sorten reichen vom 'Gemeinen' bis zum 'Indischen' Oleander; einfache, gefüllte, wohlriechende Variationen sind dabei und verschieden Farben werden beschrieben. Sogar Gärtnereien werden angeführt, wo man welche Varietäten bekommen kann und sogar Preise.
Fast zur gleichen Zeit, 1838, erscheint das Buch 'Deutschlands phanerogamische Giftgewächse in Abbildungen und Beschreibungen' von J. F. Brandt und J. T. C. Ratzeburg. Die Pflanzen sind mit fast unglaublicher Genauigkeit beschrieben, inklusive
umfangreicher Quellenangaben - so auch der Oleander. Aber nicht nur Eigenschaften und Aussehen, sondern auch Befruchtung und Aussaat durch Samen. In dem nebenstehenden Kupferstich werden nebst der Pflanze selbst auch Schnittbilder der Blüte und der Samenanlage dargestellt. Das Bild zeigt, wie wichtig die Aufzucht vom Samenkorn bis zum keimenden Sämling
genommen wird.
Ebenfalls zur gleichen Zeit: Ein wunderbares Beispiel, wie man sich in dieser Epoche um die Vielfalt der Sorten kümmert.
Neues Handbuch des verständigen Gärtners, oder neue Umarbeitung des . . . J. F. Lippold , 1831.
1875 veröffentlicht Charles Cavallier eine Beschreibung von vielfarbigen Oleandern, die aus Samen vermehrt wurden und die im Garten des M. Sahut in Montpellier in Frankreich herangewachsen sind.
(Le Laurier-rose À Montpellier . . , frz. / Englische Übersetzung von James Nicholas).
In den 1960iger Jahren, als der Massentourismus am Mittelmeer beginnt, wir zum Großteil mit Teilstücken der rosa blühenden wilden Oleander heimkehren, steht die Pflanze für unsere Urlaubserinnerung. Als Kübelpflanze erobert sie die Herzen der Mitteleuropäer und ziert bald Gartenterassen und Balkone. Diesen Oleander aus seinen Samen weiter zu vermehren, das war wohl möglich, doch das Ergebnis enttäuschend. Die Blüten bleiben rosa, da die Pflanze monotypisch ist, das heißt die Nachkommen sind „elterngleich“.
In den 1980igern überrascht die Münchner Gärtnerei „FLORA Mediterranea“ mit einem Angebot von 50 verschiedenen Oleandersorten, die neben rosa, rot und weiß, auch Farb-Schattierungen in apricot, lachs und gelb zeigen. Die Wuchsformen im Habitus und die Duftnoten der Blüten variieren. Wir nennen sie auch die „modernen Oleander“ unserer Zeit, obwohl es wahrscheinlich die letzten aus einer Sorten-Vielzahl sind, die vor Jahrhunderten eingeführt und vermehrt, vielleicht auch gekreuzt worden sind.
Bis heute werden diese bunten neuen Oleander millionenfach aus Steckhölzern vermehrt. Aus seinen Samen sicher sehr viel weniger, denn es gibt über die Besonderheit, die diese Vermehrungsart bringt, keine Literatur. In allen unseren ‚modernen‘ deutschen Blumenbüchern – heute auch im Internet – gibt es keinen Hinweis, welches Feuerwerk an Farben und Formen über den Samen möglich ist.
Es ist anzunehmen, dass die Botaniker der Vergangenheit die indischen Oleandersorten untereinander gezielt kreuzen. Eine künstliche Kreuzung ist bei der Oleanderblüte aber kompliziert und aufwendig.
Vielleicht beobachtet man schon früh, dass Falter und Motten, deren lange Rüssel bis in den klebrigen und tief liegenden Nektargrund vordringen können, eine gute Alternative sind. (Die Biene bleibt hier arbeitslos!)
Der schönste Nachtfalter mit seiner rosa-grünen Pastellfärbung ist ‚Daphnis nerii‘,der 'Oleanderschwärmer', dessen dicke grasgrüne Raupe sich durch das Blattwerk der Oleander frisst. Auch das 'Taubenschwänzchen’ ist ein gern gesehener Gast und erinnert an einen Kolibri.
Je vielfältiger das Blütenangebot, desto wahrscheinlicher die Geburt einer aufregend schönen Blüte. Und – aus jedem Samenkorn wächst eine eigenständige neue Pflanze, eine neue Sorte, der wir einen Namen geben. Mit ihren Zweigstücken vermehren und erhalten wir sie.
Zeitgleich, vor etwa 30 Jahren, werden die ersten Oleandersamen – ohne dass wir voneinander wissen - in Ungarn und Griechenland angebaut. Wir können beide auf die Samen der rosa Wildoleander zugreifen. Das Ergebnis sind elterngleich blühende Samenpflanzen. In Griechenland wird in dieser Zeit eine gefüllt blühende Sorte (ein ‚Splendens-Typ‘, dessen Wurzeln in Indien liegen) zur Gartenpflanze und sie verbreitet sich rasch. Verwundert und begeistert stelle ich bei den kommenden Samenpflanzen fest, dass ihre Blüten ganz anders als die des Wildoleanders sind. In Ungarn gibt es ähnliche Erlebnisse.
Hier liegt – so glaube ich – nun der endgültige Beweis, dass sich der Mittelmeer-Oleander mit den Sorten aus Indien kreuzen kann bzw. gekreuzt hat. Unsere heutigen sogenannten Handelssorten sind das Ende einer Spirale der Vielfalt, die sich schon über Jahrhunderte dreht. Heute haben sich viele Oleander Liebhaber – besonders in Ungarn - für diese Vermehrungsmethode begeistert und damit „das Rad der Weiterentwicklung“ wieder zum Laufen gebracht. Alleine in Ungarn gibt es tausende neue Blütenfarben und –formen, in ihrer Gestalt oft verschieden und mit Blütenduft.
Und wenn wir uns jetzt vor Augen halten, dass jedes Samenkorn, das in einer einzigen Oleanderschote mit einer kaum zu zählenden Menge anderer Samen reift, zu einer neuen Oleander-Sorte in Blüte und Gestalt heranwachsen kann, dann blicken wir in eine unglaubliche Vielfalt an Farbe, Form und Duft bei der Oleanderblüte. Aber nicht nur, denn auch die Gestalt der Pflanze kann sich verändern (Zwergwuchs).
Das nebenstehende Bild zeigt:
Unterschiedliche Farben und Formen von Samenpflanzen-Blüten, gezogen aus Samen einer einzigen Samenschote der
Oleandersorte „Eurydike“.
(Versuch kommt aus Ungarn).
Damit tritt die „Unkrautpflanze des Südens“ mit einem neuen Gesicht in Erscheinung. Dort, wo man sie einst gerodet hat, dort begehrt man sie nun als Heckenpflanze, für den Mittelstreifen auf Autobahnen, für Schmuck in Parks und Gärten, denn sie blüht reich und vielfarbig unter der heißen Sonne der Hochsommermonate.
Doch, wie wird die Zukunft aussehen? Werden sich die neuen Sorten in der Natur mit der gleichen Robustheit wie einst der rosa Wildoleander behaupten und vermehren? Oder darf man fragen: „Endet der WILDWUCHS der Oleander hier?“
Jänner 2019, Irmtraud Gotsis