1547 wurde auf der Insel Kreta ein weiß blühender Oleander gefunden. So oder so ähnlich kann man in der Literatur über Oleander lesen, besonders, wenn über die Geschichte des Oleanders berichtet wird.
Heute kennen wir den Oleander in so vielen Farben und Formen und wer sich spezialisieren möchte, kann sogar auf ein umfangreiches Sortiment zurückgreifen, mit katalogisierten eindeutigen Sorten-Namen.
Das war nicht immer so. Seit es Aufzeichnungen gab, kannte man nur eine Art des Oleanders - und der war rosa und einfach (nicht gefüllt). Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert erschienen Farbe, Duft und gefüllte Formen.
Aber dass noch bevor die 'Indischen Oleander' nach Europa kamen und sich auch zu neuen Formen kreuzen konnten, plötzlich ein weißer Oleander gefunden wurde und zwar genau datiert 1547 auf der Insel Kreta, das ist doch erstaunlich. Der Fundort war in den 'Weißen Bergen' bei der Ortschaft Camerachi nahe Candia (heute Astyraki nahe Heraklion). Doch wer waren die Menschen, wie war die Zeit?
Wir befinden uns im 16. Jahrhundert, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Es ist noch nicht lange her, dass der Buchdruck erfunden wurde. Eine Wissensexplosion hat stattgefunden, die neuen Universitäten mussten befriedigt werden. Wir erleben die Hochzeit der Renaissance in Wissenschaft, Philosophie, Mathematik, in der Kunst, Bildhauerei, Architektur, Malerei. Es ist die Zeit von Michelangelo und Da Vinci. Die Gelehrten, so auch die Botaniker haben zunächst alles, was an ‚Alten Schriften‘ vorhanden war - im Sinne der Hinwendung zur Antike und deren kulturellen Leistungen - kopiert, übertragen, übersetzt. Und sie haben, wie in allen Disziplinen, auch in unserem Fach - der Botanik - neues Wissen hinzugefügt. Durch Texte, Beschreibungen, Zeichnungen durch Beobachtungen, Reisen, Anlegen von Gärten - und: Geld. Durch vermögende Herkunft, adelige oder königliche Geldgeber oder selbst geschickte Unternehmer.
Es war aber auch eine Zeit der Pest; wir haben von mindestens zwei Gelehrten ‚ . . . ‚ gelesen, die an der Pest gestorben sind. Die sogenannte ‚Kleine Eiszeit‘ (15. -19. JH) hatte im 16. JH eine besondere Ausprägung, wodurch wohl auch die Pest begünstigt wurde. Kühlere Jahreszeiten, verregnete Sommer, schlechte Ernten, Ungeziefer Plage - wodurch natürlich besonders Bauern und ‚gemeines Volk‘ zu leiden hatten . . .
In diesem kulturellen, geistigen und klimatischen Umfeld ist der ‚Weiße Oleander‘ aufgetaucht - neu erschienen. Das ist doch interessant! Gerade jetzt, nicht früher und nicht später, es war gerade die richtige Zeit, die richtige Epoche. Es war, so zu sagen, ein Zeitfenster. Wenige Jahrzehnte, in denen das geschah, von der Entdeckung bis zur Verbreitung. Vorher war es nicht möglich, da waren die Bedingungen noch nicht bereit. Einige Jahrzehnte später wäre der ‚Weiße Oleander‘ im Auftauchen der ‚Indischen Oleander‘ untergegangen oder hätte man ihn vielleicht gar nicht bemerkt, weil die anderen spektakulärer waren.
Es ist also wirklich höchst an der Zeit - 500 Jahre! - , dem 'Weißen Oleander' näher auf die Spur zu gehen. Und wer waren die Leute, die ihn ihm so etwas Besonderes sahen, sodass er sich in wenigen Jahrzehnten in Europa verbreiten konnte - noch bevor man von dem andersfarbigen oder duftenden oder gefüllten Oleander, den man dann zunächst den 'Indischen' nannte, etwas wusste. Erst Carl von Linné hat mit den zwei verschiedenen Oleander-Arten aufgeräumt und hat in seiner neuen Nomenklatur festgestellt, dass es nur eine Art von Oleandern gibt; aber das war erst im 18. Jahrhundert, 200 Jahre später.
Begeben wir uns also auf die Spurensuche, um zu verstehen, dass der 'Weiße Oleander' - der 'Reinweiße Oleander' - vielleicht auch heute etwas Besonderes ist.
Veröffentlichung 1987
1858-1925
1789-1844
1769-1844